Gotthard blockiert – Flankenfahrt im Bahnhof Erstfeld
Ergänzung zur Ursache der Flankenfahrt
Die "Erstfelder Falle hat zugeschnappt!
Fotos in der Ergänzung: Lokführersicht, Zwerg 64 mit Abfahrsignal

Heute Nacht 13. Mai 2015 kam es kurz vor Mitternacht im Südkopf des Bahnhofs Erstfeld zu einer Flankenfahrt zwischen einem Güterzug von BLS Cargo und von SBB Cargo International.
Der Unfallhergang und die Ursache wird von der Sicherheitsuntersuchungsstelle des Bundes untersucht.
Gemäss Schadenbild fuhr der ausfahrende SBB-Güterzug seitlich in die ersten Wagen des ebenfalls ausfahrenden BLS-Güterzuges.

Die Zugloks des BLS-Zuges Re 485008 und Re 486005 hatten die Kollisionsstelle bereits passiert und blieben deshalb unbeschädigt.
Betroffen von der Kollision waren mehrere Containerwagen des Typs Sggmrs, wobei drei davon entgleisten und beschädigt wurden.

Der SBB-Zug wurde gezogen von der Doppeltraktion Re 6/6 11673 und Re 4/4 II 11333.
Beide Loks entgleisten bei der Kollision, gruben sich ins Schotterbett und gerieten in Schräglage.
Die Wagen des SBB-Zuges blieben unbeschädigt.

Verletzt wurde niemand.
Für die Umwelt bestand keine Gefahr, da die Züge kein Gefahrgut geladen hatten.
An den Gleisanlagen entstanden erhebliche Schäden.

Spezialisten der SBB Intervention begannen noch in der Nacht mit den Vorbereitungsarbeiten für die Bergung.
Als Erstes wurden die Wagen des Zuges von SBB-Cargo und die nicht entgleisten Wagen des BLS-Zuges weggeführt.
Nachdem die Fahrleitungen über den betroffenen Gleisabschnitten entfernt wurden, konnte dann im Verlaufe des Vormittags mit den Räumarbeiten begonnen werden.
Zum Einsatz kamen ein Schienenkran des Typs Vanomag VMGVTmaass 99 85 92 19025 und der Kyrow XTmaas 99 85 94 19500.
Die entgleisten Lokomotiven und Güterwagen wurden mit den Schienenkranen wieder auf die Schienen gehoben.
Anschliessend werden Fachleute der SBB die beschädigten Weichen und Gleise reparieren und die Fahrleitung wieder Instand stellen.

Die Gotthardstrecke bleibt zwischen Erstfeld und Göschenen voraussichtlich bis am Abend unterbrochen.
Die internationalen Züge fallen zwischen Zürich und Bellinzona aus.
Die ICN-Züge wenden in Arth-Goldau und Göschenen, die Interregio-Züge fahren bis Flüelen bzw. Göschenen.
Es verkehren Ersatzbusse ohne Halt zwischen Flüelen und Göschenen.
Der Güterverkehr wurde auf der Gotthardstrecke eingestellt.

Themenbild Die Situation morgens um 9.30 Uhr: Vorne die BLS-Loks, links hinten die SBB-Maschinen.
Themenbild Beide SBB-Loks waren entgleist ...
Themenbild   ... waren in Schieflage geraten und ...
Themenbild  ... und hatten sich ins Schotterbett eingegraben.
Themenbild Bei der Re 6/6 wurden beide Puffer abgescheert.
Themenbild
Drei der Containerwagen-Doppeleinheiten waren entgleist, ...
Themenbild
  ... teilweise im Schotterbett gelandet ...
Themenbild
  ... und deshalb verkantet.
Themenbild
 
Themenbild Nachdem der hinterste entgleiste Wagen aufgegleist und weggezogen war, ...
Themenbild  ... kamen auch die Schäden an Re 6/6 ...
Themenbild  ... und Re 4/4 II zum Vorschein.
Themenbild Nach dem Aufrichten wurde die Re 4/4 II aufgegleist. Inzwischen war es bereits 13.30 Uhr.
Themenbild Nach dem Wegheben der entgleisten Wagen blieb noch die Re 6/6.
Themenbild
Die Interregio-Passagiere wurden mit Ersatzbussen nach Göschenen gefahren.
Themenbild Die Re 6/6 wurde schliesslich angehoben und aufgegeleist.
Themenbild Punktlandung, dank Präzision vom Feinsten!
Themenbild Da war doch Einiges verbogen und musste abgetrennt werden.
Themenbild Schliesslich stand die Re 6/6 wieder auf eigenen "Füssen".
Themenbild Oben drüber wurde an den Fahrleitungen bereits wieder der ursprüngliche Zustand hergestellt.

Ein dickes Lob an alle beteiligten Dienste.
Keine Hektik, überlegtes und zielorientiertes Handeln sowie höchste Präzision führten zu einem glücklichen Ende.

Ergänzende Gedanken zur Ursache der Flankenfahrt

Um es vorweg zu nehmen: die folgenden Ausführungen sind bis zum Abschluss der SUST-Untersuchung rein hypotetisch.

Die Erstfelder Lokomotivführer erwähnen in Fachgesprächen öfter mal die "Erstfelder Falle".
Dies wohl nicht zuletzt deshalb, um sich immer wieder gegenseitig an diese problematische Stelle zu erinnern.

Themenbild So sieht der Lokführer auf Gleis 1 die Signalsituation, wenn er vor dem Abschnittsignal zu stehen kommt.

Es handelt sich dabei um eine Problemstelle im Gleis 1 in Fahrrichtung Süd.
Wenn im Gleis 1 ein (Güter-)Zug steht, kommen die Lokomotiven oftmals zwischen dem Abschnitt- und Ausfahrsignal zu stehen.
Dies kann passieren, weil der Zug auf Grund seiner Länge so weit vorziehen musste, und/oder weil er eine Vorspannlokomotive oder eine zusätzliche Lok für eine Doppeltraktion erhalten hat.
Das Abschnittsignal ist dann für den Lokführer nicht mehr einsehbar, weil weiter hinten.

Themenbild Zwerg X64 mit Abfahrbefehl (schräger Balken) .

Einzige Anzeige ist nun noch Zwerg X64. Aus diesem Grund ist dieser mit einer zusätzlichen Abfahrerlaubnis-Anzeige versehen.
Findet nun aus Gleis 2 eine Durch- oder Ausfahrt auf das Streckengleis 100 (Linkes Gleis nach Amsteg) statt, hat der Lokführer im Gleis 1 ein Fahrt 3 (60 km/h) zeigendes (Ausfahr-)Signal vor sich. Allerdings neben seiner Lok auch ein geschlossenes Zwergsignal, welches ihm anzeigt, dass die Ausfahrt nicht für ihn gestellt wurde.
Es gilt auch die Regel, dass aus Gleis 1 nur mit Abfahrerlaubnis ausgefahren werden darf.
Diese Siutation braucht Erfahrung und entsprechende Bahnhofkenntnisse.

Auf Grund des Schadenbildes dürfte genau diese Situation am 13. eingetroffen sein.
Der BLS-Güterzug stand im Gleis 1. (Und erhielt eine zweite Lok für die Doppeltraktion?)
Von Süden näherte sich Güterzug 50394, welcher vor dem geschlossenen Einfahrsignal anhielt.
Ein Güterzug war in Richtung Amsteg ausgefahren und kreuzte den 50394.
Als der Ausfahrtsblock frei war, wurde für den SBB-Güterzug die Ausfahrt aus Gleis 2 gestellt, und das Ausfahrsignal nach Amsteg zeigte deshalb grün (60).
Und nun dürfte das Unheil seinen Lauf genommen haben.
Der BLS-Lokführer sah das Fahrt zeigende Ausfahrsignal und fuhr los, ohne die notwendige Abfahrerlaubnis erhalten zu haben, und ohne den geschlossenen Zwerg zu beachten.
Der Lokführer des SBB-Güterzuges erwartete zurecht frei Fahrt und konnte das Unheil erst zu einem Zeitpunkt erkennen, als eine Notbremsung keine Wirkung mehr zeigte. Es kam zur Flankenfahrt.

Der vor dem Einfahrsignal wartende 50394 erhielt zu diesem Zeitpunkt Einfahrt auf Gleis 4 und passierte die Unfallstelle nur kurz nach dem Ereignis.
Glücklicherweise wurde durch die entgleisten Unfallfahrzeuge dessen Profil nicht beeinträchtigt und er konnte problemlos in den Bahnhof einfahren.
Glück im Unglück, denn dieser Zug hätte Wagen mit Gefahrengut mitgeführt.