Station Gurtnellen: Eine Aera geht zu Ende.

In der Nacht vom 13. auf den 14. Oktober 2013 wurde die Gotthardstrecke zwischen Erstfeld und Wassen für 6 Stunden komplett gesperrt.
Während dieser kurzen Zeit wurde die Station Gurtnellen und der Abschnitt Silenen-Amsteg – Gurtnellen mit der Spurwechselstelle „Zgraggen“ so umgestellt, dass sie zukünftig von der Betriebszentrale in Bellinzona aus fernbedient werden können.
Gurtnellen war die letzte noch rund um die Uhr bediente Station auf der nördlichen Gotthard-Bergstrecke. Grund hierfür war das alte Stellwerk. Dieses konnte nicht auf Fernbedienung umgebaut werden.

Am 10. April 1882 wurde die Station 3. Klasse „Gurtnellen“ dem Betrieb übergeben. Zu diesem Zeitpunkt besass Gurtnellen eines der damals üblichen Hebelstellwerke mit Sicherheitsverschluss der Firma Bruchsal.
Mit dem Ausbau der Bergstrecke auf zwei Geleise wurde die Anlage 1892 durch zusätzliche Weichen erweitert und das Stellwerk angepasst.
Mit dem Ausbau der Gotthardstrecke zu Beginn der 50er Jahre wurde auch das alte Hebelstellwerk in Gurtnellen im Jahr 1955 durch ein modernes Einreihen-Schalterwerk der Firma Integra ersetzt.
Mit etwas Glück blieben einige Teile des Hebelstellwerks Gurtnellen erhalten und dienen heute im Bahnpark Locorama in Romanshorn als Demonstrationsmodell.
Anfang der 70er Jahre wurden die Schalterwerke auf den Stationen der Bergstrecke durch modernste Drucktasten-Stellwerke Domino 67 ersetzt. Einzig in Gurtnellen verblieb das Einreihen-Schalterwerk bestehen und wurde mit dem modernen Domino 67 kombiniert.

Themenbild Das Zwitterstellwerk in Wassen:
Der graue Unterteil ist das Einreihen-Schalterwerk von 1955, darüber das grüne Domino 67 Drucktasten-Stellwerk.

Weitere spätere Gleisänderungen in der Station Gurtnellen führten immer nur zum Umbau, aber nie zum Ersatz dieses „Zwitter-Stellwerkes“.
Mit der Einstellung der Regionalzüge auf der Bergstrecke im Jahr 1995, verlor die Station Gurtnellen die Kundennähe. Trotzdem wurden bis zum 1. Januar 2008 am Schalter immer noch Billette verkauft. Dann wurde es still um das Stationsgebäude Gurtnellen, obwohl bis heute der Fahrdienst immer noch in drei Schichten arbeitete.

Die Stellwerksanlage in Gurtnellen, welche immer noch auf Elementen aus dem Jahr 1955 basiert, wurde in den letzten Jahren immer störungsanfälliger. Insbesondere auch die Kabelanlage hinunter zur Spurwechselstelle am „Zgraggen“ bestand noch aus Papierölkabeln und war somit veraltet und dadurch störungsanfällig.
Deshalb wurde 2010 ein Vorprojekt erstellt, und im April 2012 mit dem Umbau der Station Gurtnellen begonnen.
Der schmale Mittelperron aus der Zeit der Regionalzüge wurde entfernt und die Gleisanlage umgebaut und modernisiert. So verschwinden auch in Gurtnellen die Weichenlaternen und werden durch Zwergsignale ersetzt.

Das Dienstgebäude auf der Bergseite wurde entfernt und durch ein neues Technikgebäude in Elementbauweise ersetzt. Auch die Kabelkanäle im Bahnhof und hinunter zum Spurwechsel Zgraggen wurden ersetzt.
Im Rahmen dieser Erneuerung wurde auch der einzige noch vorhandene unbewachte Bahnübergang auf der Gotthardstrecke bei Grossprächtigen (beim Seckenviadukt unterhalb Gurtnellen) durch eine Blinklichtanlage gesichert. Damit wird auch die letzte Pfeiftafel auf der Gotthardbahn zwischen Basel und Chiasso verschwinden.
Mit diesem Umbau wird die Station Gurtnellen für kurze Zeit von Göschenen aus, später von Bellinzona aus fernbedient werden. Für den Umbau rechnen die SBB mit Kosten in der Höhe von 20 Millionen Franken.

Alex Wipf ist der letzte Bahnhofsvorstand von Gurtnellen. Mit Wehmut schaut der Ostschweizer auf seine schöne Zeit in Gurtnellen zurück.
Im Jahr 2002 meldete er sich für die ausgeschriebene Stelle eines Fahrdienstleiters. Bereits zwei Jahre später wurde er zum Bahnhofsvorstand befördert.
Mit seinen vier festen Mitarbeitern hielt er bis gestern den Betrieb in der Station in drei Schichten rund um die Uhr aufrecht.

Mit im Team sind auch noch zwei Urner.
Auch für Otto Brücker und Vinzenz Zgraggen geht mit dem Ende des Betriebes in Gurtnellen ein Lebensabschnitt zu Ende.
Beide werden sie in Kürze in den wohlverdienten Ruhestand treten.

Bahnhofvorstand Alex Wipf und die anderen zwei seiner Mitarbeiter werden dem Bahnhof Göschenen zugeteilt und in Zukunft dort ihren Dienst verrichten.

Das Stellwerk Gurtnellen hat seinen Dienst getan. Erfreulich ist, dass es als Industriedenkmal erhalten bleiben wird.
Somit werden die Stellwerke aller Epochen Gurtnellens erhalten bleiben.

Vinzenz Zgraggen hatte gestern Spätdienst.
Unter grossem Applaus der Anwesenden Arbeiter und Zaungäste stellte er als letzte Amtshandlung kurz vor 23 Uhr die Fahrstrasse für einen Güterzug nach Süden.

Themenbild Ein letztes Mal stellt Vinzenz Zgraggen in "seinem" Stellwerk eine Fahrstrasse für einen Güterzug.

Ein letztes Mal einen Gruss an den Lokführer des Zuges, dann war sein Dienst zu Ende. Noch die Dienstformulare ausfüllen, und dann ein letzter Abschied vom Stellwerk.

Themenbild

Noch etwas Bürokram, dann ist Dienstschluss.

Als letzter Zug vor der Streckensperrung sollte der IR 2293 nach Süden passieren. Inzwischen hatte Alex Wipf die Bedienung des Stellwerks übernommen.
Unvorhergesehen kam es sogar noch zu einer letzten Kreuzung in der Station Gurtnellen.
Eine Schiebelok welche von Göschenen nach Erstfeld zurückkehrte, musste in Gurtnellen den IR abwarten.
Ein letztes Mal stellte Bahnhofvorstand Wipf in Gurtnellen Fahrstrassen ein und stellte Weichen um.

Themenbild Zum letzten Mal werden im Stellwerk Gurtnellen Fahrstrassen gestellt.

Nach dem Passieren des IR und der Ausfahrt der Schiebelok ging dann alles ganz schnell.

Themenbild Ein Gruss an den Lokführer des IR, die wartende Schiebelok wird auf die Strecke gelassen, dann ist eine Aera zu Ende

Die Strecke Erstfeld – Gurtnellen wurde gesperrt, die Fahrleitung ausgeschaltet und die Lichter des Stellwerks Gurtnellen erloschen endgültig.

Themenbild Rote Balken quer zum Gleis, die Strecke ist komplett gesperrt.
Themenbild Jetzt übernehmen die Rottenarbeiter das Szepter, einer der vier Dienstzüge.

Nun begann die Arbeit der Rotten mit ihren vier Dienstzügen. Alte Signale wurden demontiert, Weichenmotoren ausgewechselt und die ganzen Anschlüsse vom alten Stellwerk auf die Neuen im Technikgebäude umgestellt.
Es eilte, denn um 6.40 Uhr musste die Strecke für den ersten Personen-Zug 364 wieder befahrbar sein.