Neues Betriebskonzept für die Gotthardstrecke

Keine konventionellen Züge mehr im Verkehr Schweiz - Italien, ein ICN-Zweistundentakt Basel - Lugano, ein neuer Interregio IR von Bellinzona nach Milano - das sind die Eckpunkte des Betriebskonzeptes, das ab Dezember 2007 im Personenverkehr über die Gotthardbahn gelten soll.

Der Ist-Zustand
Zur Zeit fährt stündlich ein Intercity (IC) nach Milano. Dieser beginnt wechselnd in Basel oder Zürich. Gleichzeitig fährt, ebenfalls stündlich, ein Interregio (IR) nach Locarno, der ebenfalls in Zürich oder Basel startet.

In Arth-Goldau treffen sich die beiden Flügelzüge IC und IR und gewähren den Reisenden einen entsprechenden Übergang. Ab Arth-Goldau folgt der IR jeweils dem IC und bedient bis Bellinzona mit Zwischenhalten die Bahnhöfe Schwyz, Brunnen, Flüelen, Erstfeld, Göschenen, Airolo und Faido.
Zusätzlich zu diesem Taktangebot fahren einzelne Cisalpini (CIS) Zürich - Milano mit deutlich kürzerer Fahrzeit als der IC.

Nach der Eröffnung des Lötschberg-Basistunnels wird  zum Fahrplanwechsel im Dezember 2007der Verkehr Schweiz - Italien neu geordnet.
Die Cisalpino AG, eine Tochter von SBB und Trenitalia, beabsichtigt auf diesen Zeitpunkt 14 Neigezüge CIS 2 in Betrieb nehmen. Zusammen mit den ETR 470 sollen sie die Hauptlast des Verkehrs Schweiz - Italien vollständig über die Lötschberg - Simplon-Achse abwickeln.

Der Verkehr auf der Achse (Deutschland -) Basel - Italien wird also nicht mehr über die Gotthardstrecke geführt.
Das ursprünglich auf der Gotthardachse geplante Betriebskonzept wird nicht realisiert, da damit kein sauberer Stundentakt erreichbar ist.
ICN am Gotthard
Die SBB prüften deshalb, wie ein schneller Stundentakt wenigstens ins Tessin erreicht werden könnte. Es zeigte sich, dass dies mit dem Einsatz von zusätzlichen Neigezügen (ICN) erreichbar wäre.
Mit diesem Fahrzeugeinsatz können die SBB zwischen Arth-Goldau und Lugano den gewünschten Stundentakt anbieten.
Ab Basel, Luzern und Zürich bestehen dann stündlich schnelle Verbindungen nach Bellinzona und Lugano, in der einen Stunde direkt, in der andern mit Umsteigen in Arth-Goldau.
ICN am Gotthard

Ein CIS auf Extrafahrt oberhalb Wassen

Die IR Basel /Zürich - Locarno behalten den Gepäckwagen für den Fahrradtransport, der in den CIS 2 gar nicht, in den ICN nur sehr beschränkt möglich ist. Diese Züge erfahren auch eine Aufwertung, indem bereits ab Dezember 2006 bei jedem Zug ein Erstklass-Panoramawagen eingereiht wird. Dieser Einsatz der Panoramawagen am Gotthard bindet neun Wagen. Damit sind die von Seiten SBB geäusserten Pläne, die Panorama-wagen abzustellen, offenbar vom Tisch.

Die notwendige Beschleunigung zwischen Basel und Luzern erreichen die SBB dadurch, dass die ICN und IR Basel - Locarno künftig nicht mehr in Zofingen und Sursee halten werden. Dies ergibt zwischen Basel und Luzern einen Stundentakt mit einem einzigen Zwischenhalt in Olten.
Gleichzeitig sollen die IR 24xx Basel - Zofingen als Zubringer nach Luzern verlängert werden.
Die Fahrt von Luzern nach Bellinzona wird gegenüber dem heutigen IC-Angebot um 14 Minuten kürzer. Nach Süden werden die letzten drei ICN am Abend bis Chiasso fahren, dort übernachten und am nächsten Morgen nach Basel zurückkehren.

Die zukünftige Rolle Luzerns
Von der Zentralschweiz nach Deutschland gibt es seit Jahren keine direkten Züge mehr. Um Luzern nicht auch noch vom direkten Verkehr mit Italien abzuhängen, soll die Touristenstadt mit zwei zusätzlichen Zugpaaren in das Konzept eingebunden werden.
Geplant sind zwei morgendliche Verbindungen mit einem Cisalpino Luzern – Milano (Luzern ab um 6.20).
Vorgesehen ist auch eine zweite Verbindung Basel - Luzern - Milano (Luzern ab um 8.20). Einer der beiden CIS soll nach Venezia weiterfahren.Die Gegenzüge träfen am Abend (Lu an um 21.40 resp. 23.40) in Luzern ein.

Die Fortsetzung ab Bellinzona
Mit dem neuen Betriebskonzept fahren künftig nur noch alle zwei Stunden internationale Züge über die Gotthardstrecke nach Mailand. Zudem werden die Neigezüge in Chiasso nur noch Diensthalte vornehmen. Ein Fahrgastwechsel ist nicht mehr vorgesehen.
Dieser Zweistundentakt wäre für den Regionalverkehr vom Tessin nach Norditalien ungenügend.
Obwohl sich mit der vorgesehenen Lösung kein sauberer Stundentakt vom Tessin nach Milano Centrale realisieren lässt, planen die SBB die Einführung einer neuen zweistündlichen Verbindung Bellinzona - Milano. Diese IR- oder RegioExpress-Züge (RE) mit zusätzlichen Halten in Mendrisio, Monza und Seregno sollen in Bellinzona schlanke Anschlüsse zu den IR Basel / Zürich - Locarno bieten.
Als Rollmaterial sollen die Zweisystem-Triebzüge des Typs Flirt eingesetzt werden, welche die SBB-/ Trenitalia-Tochter"Tilo" für den Regionalverkehr bestellt hat. Diese Flirt sollen nicht, wie ursprünglich vorgesehen, eine durchgehende S-Bahn-Verbindung Bellinzona - Milano (Bahnhof Porta Genova) herstellen, sondern nur bis Como fahren.

Während die CIS in Bellinzona voraussichtlich zur Minute .27 abfahren, ist für die IR/RE die Abfahrt in der anderen Stunde zur Minute .02 geplant. Da auf der Strecke Chiasso - Milano keine anderen Trassen verfügbar sind, ist die Ankunft in Milano Centrale zur Minute .45 für beide Zugsarten fix.

Ausblick
Die SBB müssen ein Interesse daran haben, auch die klassischen Gotthard-Schnellzüge, dem Publikum schmackhaft zu machen, denn die Neigezüge bieten weniger kapazität als das heute eingesetzte konventionelle Rollmaterial.
In einem (verstärkten) IC finden rund 1000 Fahrgäste Platz; bei einem doppelt geführten ICN deren 914 undin einem doppelt geführten CIS 2 gar nur 826. Mit 486 Plätzen können am wenigsten Passagiere in den Cisalpino-Neigezügen ETR 470 transportiert werden. Hier kommt erschwerend hinzu, dass diese Züge nicht in Doppeltraktion einsetzbar sind.

Ob die Neigezüge ICN in Spitzenzeiten die Nachfrage abdecken können, muss sich zeigen, vor allem dann, wenn die Nachfrage mit dem attraktiveren und schnelleren Rollmaterial zunehmen sollte.
Eine weiteres Problem ist die Pünktlichkeit in Italien. Die SBB haben die Vorgabe, dass 95 % der Züge mit weniger als fünf Minuten Verspätung ankommen müssen. Die Italienischen Staatsbahnen sind schon zufrieden, wenn 91 % der Züge um höchstens 15 Minuten verspätet sind. Im geltenden Fahrplankonzept können in Italien eingefahrene Verspätungen in Chiasso in vielen Fällen ausgeglichen werden, denn für Lokwechsel und Zollformalitäten halten hier die Züge planmässig 20 Minuten.
Mit dem neuen Konzept ab dem Fahrplanwechsel im Dezember 2007 fällt diese Pufferzeit ersatzlos weg.
Den SBB und den Passagieren bleibt somit nur die Hoffnung, dass Trenitalia bis dahin die Betriebsqualität im Raum Milano deutlich verbessert.

Das neue Betriebskonzept, das einige Probleme im Nord - Süd-Verkehr lösen kann, gilt bis zur Eröffnung des Gotthard-Basistunnels. Dann wird der Verkehr Schweiz - Italien wiederum neu geordnet werden müssen.